Ich oute mich hier und jetzt als Fan! 35 Jahre hat es gedauert, bis ich die Erfolgsserie der 80-er Jahre im Dezember 2021 und auch 2022 beim Durchzappen auf der Flucht vor Haha-, Koch-, Betroffenheits- und Rateshows mit A-B-C- bis Z-Promis entdeckt habe. Als mein Finger auf der Fernbedienung eine Verschnaufpause beim Sendeplatz von ZDFneo eingelegt hatte, erstrahlte auf dem Bildschirm eine herrliche Landschaft, unterlegt mit einer Melodie, die sich mir bereits in jungen Jahren wohl unbewusst ins Hirn eingebrannt hatte „da da da dadada dada“ – Sie erkennen sie?
Nun hat es mich als Mittfünfzigerin voll erwischt, bin von der „Schwarzwaldklinik“ verführt und begeistert worden – wie einst meine Eltern! In mehrerlei Hinsicht. Wer erinnert sich an die Serie? Sie startete 1984 und lief bis 1988. Sie hatte sage und schreibe durchschnittlich 25 Millionen Zuschauer, damit die höchsten Einschaltquoten aller Zeiten. Meine Eltern waren damals jünger als ich heute. Zusammen mit ihrer Generation saßen sie wöchentlich – ich glaube, es war immer Samstagabend – vorm Fernseher, freuten sich und litten mit Professor Brinkmann und seinem Schwarzwald-Team, wenn sie im OP-Saal um ein Leben kämpften und der Patient – bei den meisten war das Gott sei Dank der Fall – überlebte. Oder aber sie ärgerten sich über Oberschwester Hildegard Zeisig, wenn diese mit ihrem Lästermaul über Belegschaft und Patienten herzog. Für die älteren Frauen war der Professor ein Traummann, die etwas jüngeren unter ihnen träumten vom Brinkmann-Junior Udo (Sascha Hehn, der von Traumschiff). Die männlichen Fern-Seher verehrten heimlich Schwester Christa. Bis die sich den älteren Brinkmann schnappte und ihn heiratete. Ich glaube, dass es dank Schwester Christa im echten deutschen Leben bei den weiblichen Fern-Seherinnen bestimmt einen Run auf Heiratswillige und -unwillige Ober- und Chefärzte gegeben hat. Doch dann studierte die auch noch selbst Medizin und arbeitete unter der Ägide ihres Gatten Klaus als Chirurgin in der „Schwarzwaldklinik“ mit. Ja, ja, die Christa, erst Schwester, dann Frau Dr. Brinkmann, machte es den ledigen und manch verheirateten Zuschauerinnen der „Schwarzwaldklinik“ vor, wie es geht, bzw. gegangen wäre. Doch möchte ich nicht neidvoll bei dieser sympathischen Dame bleiben, sondern mich ihrem Gatten und Chef, Professor Klaus Brinkmann, zuwenden.
Ich habe mich im Dezember vorletztes und letztes Jahr jeden Nachmittag und Abend auf ihn gefreut; wohlgemerkt, auf die Figur Professor Brinkmann. Doch merke ich respektvoll an, welch große schauspielerische Leistung Klaus-Jürgen Wussow ablieferte. Als Zwanzigjährige habe ich mich 1985 über ihn und alle Schwarzwald-Darsteller lustig gemacht. Heute sehe ich das anders. Wussow stellte diesen Professor Brinkmann großartig dar; jedenfalls ist das meine Meinung. Die mittelalterlichen Herren und auch Schauspieler von heute können sich von Professor Brinkmann eine Scheibe abschneiden, in männlicher, menschlicher sowie beruflicher, schauspielerischer und medizinischer Hinsicht.
Vor 35 Jahren gab es beim Film nicht die technischen Möglichkeiten zur digitalen Bildbearbeitung wie heute. Die Schauspieler mussten abliefern, verbal und nonverbal, um zu überzeugen. Die Darsteller mussten wirklich was können. Und heutzutage? Da wird jeder, der es möchte, aber vielleicht nicht mal kann, dank Computertechnik zum Star. Es wird so lange digital herumgeschnipselt, bis es passt. Die Frage der Qualität? – Die Antwort wird sozial-medial zensiert, das Lob und der Starhype von der Unterhaltung- und Medienindustrie vorgegeben. Im Grunde gehört sie in die digitale Tonne getreten, diese öffentliche Meinung. Eigentlich sollte es mir egal sein, doch wird damit eine virtuelle Welt erschaffen, die leider auch mein Leben in starkem Maße beeinflusst. Und das mag ich nicht! So weit, so gut, bis ich in der Lage bin, daran selbst etwas zu ändern, denke ich lieber über jemand Besseren nach, nämlich…
…über meinen Lieblingsprofessor Brinkmann und seine „Schwarzwaldklinik“. Was ist, wenn er mehr zur deutschen, psychischen und physischen Volksgesundheit beigetragen hat, als alle Politik und Religion zusammen im Quadrat? Könnte sich das nicht unter anderem durch die höchsten Einschaltquoten aller Zeiten, die die Serie erreicht hat, widerspiegeln? Sein menschliches und berufliches Vorbild erreichte jahrelang und wöchentlich Millionen Deutsche. Auch sein Styling war Vorbild für die Männerwelt. Er war immer gut angezogen und sah blendend aus im Anzug, Hemd und Jackett und den verschiedenfarbigen Baumwollhosen mit Bügelfalte. Das Sahnehäubchen war sein Arztkittel. Lang geschnitten, vorne mit Silberknöpfen, im Rückenbereich eine Falte mit zwei Knöpfen. Genial! Welch tolle Figur das machte. Ich überlege, ob ich mir so einen Kittel schneidern lasse.
Brinkmann ist fürsorglich, klug und weise, hintersinnig, reflektiert, korrekt, für seine Familie und für seine Patienten da, hilft dabei, deren Probleme zu lösen. Wenn es sein muss, dann übernimmt er einen Hund, damit er nicht ins Tierheim muss, oder bezahlt die Krankenhausrechnung eines Vagabunden, der nicht krankenversichert ist. Er macht mit ihm einen Deal, dass der dafür bei im Holz hackt. Nimmt ihn in seinem Haus auf, wer immer Hilfe und ein Dach über dem Kopf braucht. Er ist ein Familienmensch, hält seinen Angehörigen die Treue in jeder Hinsicht. Schwierige Menschen, wie seine Haushälterin Casta Michaelis oder Oberschwester Christa, nimmt er, wie sie sind und kommt damit prächtig mit ihnen aus. Er hat Geduld mit seiner Christa, als die einen Forschungsauftrag in Freiburg und dann später einen in Konstanz übernimmt, steht darüber, als Christa ständig von ihrem Kollegen avanciert wird, weil der in sie verliebt ist. Klaus Brinkmann hält zu ihr, wartet auf sie an den Abenden und an den Wochenenden. Er lässt sie Karriere machen. Selbst, als das auf Kosten des kleinen Benjamin geht. Dafür tritt er in der Klinik kürzer, um sich um ihn, zusammen mit Frau Michaelis und Kindermädchen Carola, zu kümmern. Tag und Nacht ist er erreichbar für seine Patienten und die Schwarzwaldklinik. Patienten werden nicht schnell und noch halbkrank rausgeschmissen, um Kosten zu sparen. Im Gegenteil, sie dürfen so lange bleiben, oft über die nötige Zeit hinaus, bis sie wirklich genesen sind.
Den Kern des Schwarzwaldklinik-Teams spiegelt im Grunde die Persönlichkeit von Professor Brinkmann wider. Schwestern, Pfleger und Ärzte sind liebenswert, fürsorglich, und sie sorgen sich so manches Mal persönlich um das Wohl der ihnen Anvertrauten. In jeder Folge kommen kranke und hilflose Patienten in die Schwarzwaldklinik und verlassen diese am Ende als glückliche und geheilte Menschen. Und auch Ärzte kündigen und gehen im Guten, weil Brinkmann sie zwar kritisiert, aber doch anständig zu ihnen ist. Im Verlauf von fünf Jahren flimmerten über 700 verschiedene Protagonisten über den Bildschirm, abgesehen von den Hauptfiguren.
Ich könnte jetzt weiterschreiben über den Professor und seine Schwarzwaldklinik, doch darf ich mich nicht verzetteln, sondern es wird Zeit, darüber zu schreiben, warum ich über die Schwarzwaldklinik schreibe und warum sie mein Herz ergriffen hat.
Schwarzwaldklinik ist für mich das Symbol für eine Zeit, in die Welt noch in Ordnung war: Gesunde Menschlichkeit, Gefühle, Familie, Partnerschaft, Zuhause, Gespräche, Natur, Zeithaben, Entschleunigung und Lebensqualität. Ich sehne mich zurück nach diesen Werten und Dingen, die da 35 Jahre vergraben in der Vergangenheit liegen. Sie kehren nicht von alleine zurück. Das weiß ich. Vielleicht gibt es außer mir keinen oder nur wenige Idealisten, die von der Renaissance der 80-er Jahre träumen. Im Nachhinein erscheint die Vergangenheit vor dem nostalgischen Gehirnnebel immer besser und glücklicher. Doch waren die 80-er einfacher, vielleicht etwas naiv, ein bisschen ehrlicher und authentischer. Die Menschen waren nicht so ängstlich und geregelt, so künstlich, fotogeshopped, links, rechts, gekentert, gleich, gerecht, paranoid, political correct, scheinheilig, oberflächlich, narzisstisch, gewinnorientiert, feige und gemainstreamed wie in in der Gegenwart.
Nicht mit mir! Darum werde ich der „Schwarzwaldklinik“ weiterhin die Treue halten und das schöne Gefühl genießen, das ich habe, wenn ich sie sehe. Und dieses Gefühl konserviere ich in meinem Alltag und lebe den Geist der 80-er Jahre bis ins nächste Leben.