China ist nur anders

Ein Matchpunkt, mit dem die deutsche Politik und ihre Medien Stimmung der Angst gegen China schürt, sind die Kameras und die Überwachung in der Öffentlichkeit. Wieso eigentlich? – Ich finde diese gar nicht so schlecht. Alle paar Meter lächle ich in eine Kamera, mit der mein Gesicht gefilmt, erfasst und abgeglichen wird. Warum empfinde ich so was gut? Die Überwachung aller und allem entspannt mich, da ich vor Übergriffen, Angriffen, Anpöbeleien und Diebstählen sicher sein kann. Ich brauche keine Angst haben, wenn ich während meines Aufenthalts nachts um 10 Uhr alleine durch Parks oder am Ufer des Westlakes jogge. Ich fühle mich frei und sicher, da jeder meiner Schritte und der anderer gesehen und aufgezeichnet wird. Hinter den Kameras sitzt die Polizei und wacht über mich. Fast jede Nacht laufe ich ein bis zwei Stunden durch die Gegend. Es treibt sich kein zwielichtiges Volk herum. Keine Kriminellen, Gruppenvergewaltiger, keine Junkies, Drogendealer, keine Banden, Besoffenen, grölenden und pöbelnden Subjekte, keine Bettlerbanden, keine Kriminelle aus Ost oder Sonstwo-aus-der-Welt. Jeder hier ist sicher, keiner braucht Angst zu haben vor Gewalt oder davor, bestohlen zu werden. Es passiert mir immer wieder, dass ich im Getümmel unterwegs bin und meine Handtasche oder mein Rucksack offen sind. Kein Erschrecken oder Fastherzinfarkt, denn da fasst niemand rein. Die Kameras sehen und erkennen jeden Dieb und Verbrecher. Da werde ich mich wieder gewaltig umstellen müssen, wenn ich in Europa lande und wieder in Deutschland zu Hause bin. Ab da wird’s dann wieder gefährlich. By the way, in der westlichen Welt wird  doch auch überwacht, und zwar so was von überwacht, nämlich per Satelliten aus dem Weltall. Damit kann jedes Haar auf dem Kopf gezählt werden. Und abgehört wird auch per Satelliten, und zwar per Frequenzcodierung; was visuell möglich ist, geht auch auditiv. Ich weiß das von einer angetrunkenen, redseligen Drohneningenieurin vom Verteidigungsministerium, die ich in Bonn kennengelernt habe, als dort eine internationale Konferenz zur Überwachung per Drohnen stattgefunden hat. Ach ja, und die Landwirte und jeder ihrer Misthaufen und Jauchegruben werden schon seit langem per Satellit überwacht. Steht ein Misthaufen nur einen halben Meter zu weit vom erlaubten Grund weg, wird er vom zuständigen Amt gemahnt, denn vorher erfasst durch einen „Misthaufensatelliten“. Nun, lieber Leser, liebe Leserin, wer wird jetzt nicht überwacht bzw. überwacht? In China wissen die Menschen, dass sie es werden; in Deutschland wissen es die Menschen nicht, dass sie es werden.

In China gibt es kein Ausnutzen oder Betrügen des Sozialstaates. Hier arbeitet jeder. In den Straßen, in den Gängen der Metro, in den Parks auf den Bürgersteigen kehren Heere von Chinesen und halten sie sauber. Das finanziert der chinesische Staat, indem die Straßenkehrer Geld verdienen mit ihrer Arbeit und eben nicht Faulheit und Müßiggang und Sozialkriminalität finanziert und propagiert werden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die öffentlichen Plätze sind pickobello, kein Fetzen Papier, keine Zigarettenkippe, keine überquellenden Mülleimer, wo der Müll danebengeworfen worden  ist. Leute kehren fleißig, denn auch sie werden erkannt. Nicht, wie in Deutschland, wo es ein paar Kehrer geben mag, die sich, statt zu kehren, auf dem Besen lieber abstützen.

Für einen Deutschen, bzw. deutsche Frau, die als Multitaskerin erzogen worden ist, am besten alles selbst zu regeln und zu können, ist die chinesische Arbeits- bzw. Befehlskultur nervenaufreibend. Wer sich mit chinesischer Geschichte beschäftigt, kann jedoch verstehen, warum die Chinesen so ticken und damit so arbeiten und leben. Den alleskönnenden Chinesen findet man sehr selten, da er nicht gebraucht wird. Gebraucht werden unzählige chinesische Hände und Teilhirne. Im Arbeitsprozess hat jeder einen sehr kleinen Denk- und Tätigkeitsbereich. Jeder ist für eine bestimmte Sache zuständig und verantwortlich und dieser Tätigkeitsraum ist die Begrenzung, innerhalb sich das Denken und das Leben abspielt. Der chinesische Großteil der Menschen existiert innerhalb dieses Wabenlebens. Auch das Denken, die Wahrnehmung geschehen in einer Blase. Jeder Chinese ist mit mindestens einem Handy ausgestattet, um in der Blase existieren zu können. Aus der Blase, sprich, mit dem Handy, ins WWW zu kommen, ist relativ unwahrscheinlich. Die Staatslenkung bestimmt und erschafft, variiert und passt die Denkblase, die über China liegt, entsprechend ihren Bedürfnissen und Visionen an, sofern eine Blase Visionen zulässt – ja, doch, wenigstens von ein paar wenigen.  Als Deutsche bin ich gewöhnt, freiheitlich und selbstbestimmt zu denken – meine ich wenigstens. Früher führte dieses Denken in meiner Generation zu Innovationen und Wachstum jeglicher Art. Man hatte Lust und Freude zu denken und das Gedachte irgendwie zu erschaffen. Doch haben sich die Grenzen in allen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft mittlerweile aufgelöst, und wir bekommen mehr und mehr die negativen Auswirkungen zu spüren. Der kleine, eigene Denk- und Handlungsspielraum geht klammheimlich über in eine unsichtbare Systemmacht. Ich frage mich, geschieht das einfach so, weil es der Lauf der Zeit ist, oder steckt ein Plan dahinter? Ich werde das nicht erfahren – und Sie, lieber Leser, liebe Leserin, auch nicht.

In Deutschland gibt es keine China-Blase, sondern eine viel größere Systemblase, die als eine Art Firewall, eine Grenze aus vorgegaukelter Grenzenlosigkeit installiert hat. Die Menschen werden dank der Systemmedien gehirngewaschen, diese demokratische „Freiheit“ sei hart erkämpft und sei das Ergebnis demokratischer Politik. Stimmt das wirklich? Keiner kennt die absolute Wahrheit. Was den Deutschen als Wahrheit präsentiert wird, ist nichts anderes als eine Blase. Nur, dass sie keiner wahrnimmt. Die Kameras und Überwachung hat der Westen dank Satelliten in den Orbit gehängt, wo sie keiner sieht. Über die riesige Entfernung funktioniert die Überwachung der Menschen bis zur Ameise in der Küche, exakt und permanent und wohl besser als die Überwachung mittels Kameras in den Parks und auf den Straßen von China.

Ich denke, das muss den Menschen klar sein, wenn sie mit dem Finger anklagend auf China zeigen. Auch muss klar sein, dass sie mittlerweile ebenfalls ihr Denken in einer Blase gefangen ist. Ihr Hirn bekommt vorgekaute Informationen, Ideen, Bilder, Ängste und Bedürfnisse vorgekaut, doch denken sie, wie die Zoobesucher im Affenhaus, dass sie die Affen anglotzen, aber in Wahrheit kommen die Besucher und zahlen dafür auch noch Eintritt, um die Affen zu unterhalten. Ja, diese westliche Arroganz gegenüber China hat mehr Unterhaltungswert, als die Deutschen ahnen.

Wenn ich mich hier durch die Straßen bewege, mit den Leuten mich im Fluss bewege, kann ich ein Gefühl der Verbundenheit wahrnehmen. Kein Kampf oder Gefluche, keine Auseinandersetzung mit anderen, sondern einfach nur Ruhe, Gelassenheit, Ergebenheit inmitten einer Menschenmasse, in der es trotz der Enge keine Bedrängnis oder Aggression zu geben scheint.

In Deutschland wird das Bild der modisch uniformierten Chinesen gezeichnet, die phantasielos und alle gleich gekleidet sind. Welch Unsinn! Beim Vergleich der Deutschen mit den Chinesen schneiden die Deutschen so was von schlecht ab, sehen modisch ziemlich blass aus. Flaniere ich durch die Shopping-Center oder durch die Straßen, bietet sich mir eine phantastische Auswahl von Mode und Bekleidung, die kreativ , bunt und stilreich ist. Frauen jeden Alters kleiden sich hier mit einem Chick und sicheren Geschmack, wie man es nur von Frankreich her kennt. Ich sehe im Krankenhaus täglich viele Frauen und bin fasziniert, mit welch Eleganz und mit welchem Selbstbewusstsein sie allem gegenübertreten. Die Chinesinnen stehen leidenschaftlich auf französischen Chic.

Einer Kollegin, die mit ihren beiden Kindern hierhergekommen ist, ist aufgefallen, dass die Kleidung für die Kleinen, egal, ob Mädchen oder Junge, um den Bauch ganz weit ist. Eigentlich ganz praktisch, ja, logisch, wenn man weiß, wie wichtig es für die Entwicklung der Organe und der Mitte ist. Der Bauch eines Kindes braucht Raum. Meine Kollegin hat sich hier für ihre Kinder mit weiten Hosen und Kleidern gut eingedeckt.

Beim Verhalten im Straßenverkehr bekommen die Chinesen von mir jedoch Minuspunkte. Ich habe den Eindruck, alle fahren los, dann kreuz und quer. Vor allem die Rollerfahrer und Radfahrer sind todesmutig. Für sie gibt es kein Halten und Stoppen. Weder Fußgänger noch rote Ampeln können sie aufhalten. Das Gefährliche ist, dass sie lautlos an oder auf einen zurasen. Heute Morgen zum Beispiel schlenderte ich gemütlich den Weg zum Krankenhaus entlang. Plötzlich hupte es unmittelbar hinter mir laut. Vor Schreck sprang ich zur Seite und der Rollerrowdy schoss knapp an mir vorbei. Das passiert ständig. Apropos Hupen! Die Hupe ist im Verkehr hier der wichtigste Knopf oder Schalter für die Chinesen. Gehupt wird Tag und Nacht und unaufhörlich.

In Deutschland wird sich über die Chinesen gerne darüber echauffiert, sie würden einem immer ins Gesicht lächeln und in Wahrheit das Gegenüber verachten. Das stimmt insofern, dass ein Chinese sich jemandem, sprich Ausländer, gegenüber so benimmt, wenn sich das ausländische Gegenüber daneben benimmt. Und das ist der Fall, wenn dieser laut, fordernd, frech, rücksichtslos und dumm ist, sprich, ohne Benehmen. Dann lächelt der Chinese weise, blickt am Gegenüber vorbei und beerdigt ihn erster Klasse, indem er entspannteren Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit schenkt.

Chinesen schrecken zurück, wenn sie hören, dass sie mit einem „Duo gua ren“ zu tun haben werden. Die Deutschen sind wohl angesehen wegen ihrer Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, doch sind die Deutschen vor allem auch wegen ihrer Humorlosigkeit bekannt. Über sich selbst lachen, meint der Chinese, können die Deutschen nicht.