Um ein Jahr bin ich kein Boomer-Kind mehr geworden. Doch fühle ich, dass es an der Zeit ist, über meinen Ruhestand nachzudenken. Darüber, was noch kommen soll, wenn ich – so Gott will – ein höheres oder gar hohes Alter erreiche.
Ich bin skeptisch, ob ich und meine Altersgenossen noch ein Pflegeheim von innen sehen werden. Nicht etwa, weil wir alle blind sind, sondern weil wir zum runden 80sten Geburtstag vom Bürgermeister oder der Kranken- oder Rentenversicherung die „Pille danach“ geschenkt bekommen. Die müssen wir uns wegen gesetzlich festgelegtem Ablaufdatum im Kreise unserer Lieben mit einem Gläschen Champagner, Radler oder Leitungswasser einwerfen. Idealerweise schlummern wir sanft dahin, und unsere Seele breitet ihre Flügel aus, um nach Peter Pans Nimmerland zu flattern. Die Seelen fleißiger Kirchgänger steigen vielleicht auf in den Himmel – wo immer der ist – und treffen am dortigen Tor Petrus und Holy Company. Kurz und gut würde der Berliner sagen: Jedem Tierchen sein Pläsierchen! Ich denke, dass sich jeder nach dem Schlucken seiner letzten Pille dorthin begeben wird, wo er zu Lebzeiten gemeint hat, dass er sich nach dem Sterben hin begeben wird. Ich meine, das sind eigentlich schöne Perspektiven, oder?
Die „Pille danach“, also für nach dem Leben, ist eine kostengünstige Option, um unsere Generation von der Renten- und Pensions-PayRoll zu radieren. Möglicherweise wird daran bereits getüftelt, nur realisieren wir, die Betroffenen, das noch gar nicht. Ist auch okay, denn warum sollten wir uns vorher schon todbringendem Stress aussetzen? Wenn ich uns kommenden Alten so anschaue, bin ich begeistert, wie gut wir noch alle aussehen. Ich verstehe irgendwie schon, wenn politisch darüber diskutiert wird, dass wir gefälligst mindestens bis in die Siebziger oder bis zum Todumfallen arbeiten sollen. Schließlich können wir während Rente und Pension Jahre und womöglich Jahrzehnte doch nicht nur im Gartenbeet werkeln, Enkel betreuen oder mit Kreuzfahrtschiffen durch die Weltmeere schippern und die klimaschadend belasten, oder?
Mit Blick auf uns heranreifenden Alten wird immer lauter nach Reform geplärrt, weil die in Kürze anfallenden Kosten durch eine Millionenschar neuer Pensionäre und Rentner nicht mehr gestemmt werden können. Allerdings sollten die Vorwürfe der FDP, dass sich der Bund an der Rentenkasse bedient und Beiträge der Rentner zweckentfremdet für etwas anderes ausgibt, geklärt werden. Immerhin geht es um Milliarden! Man muss auch offen darüber reden, dass die arbeitenden Menschen in Deutschland ihr Leben lang brav ihre Rentenversicherungsbeiträge bezahlen. Ob sie wollen oder nicht, wurden und werden ihnen diese vom Lohn bzw. Gehalt abgezogen. Das ganze System, alias „Generationenvertrag“, funktioniert mitunter deshalb nicht mehr, weil Ausländer, die niemals in die deutsche Rentenversicherung einbezahlt haben, aus dem Rententopf Renten überwiesen bekommen. So weit, so nicht gut! Doch das ist ein anderes, großes Problem, bzw. eine goldene Kuh, die kein Politiker schlachten wird, da es ihn Kopf und Kragen kostet und er seine Pensionsansprüche verliert.
Es ist jedenfalls keine Reform, Geld hin und her zu schieben und in und aus Töpfchen geben und nehmen. Das ist naiv, oberflächlich, phantasielos und feige. Traurig, doch so wird es politisch praktiziert, und die politischen Feiglinge denken insgeheim: Lieber Gott:in, nur zwei Legislaturperioden, dann habe ich es geschafft und bekomme eine fette Pension…nach mir doch die Sintflut!
Jeden Morgen und Abend stehe ich seit zwei Wochen im Hopfenstadel an der Hopfenpresse und verpacke bis 70 Kilogramm schwere Säcke mit Hopfen, stelle sie auf die Waage, hieve sie auf eine Palette. Ich schufte wie ein Esel. Und mit mir schuftet der Herr des Hopfenhofes tagtäglich, von 6 Uhr früh bis Mitternacht, in der Darre, wo er den Hopfen trocknet. Wir sind beide zusammen 120 Jahre alt und machen uns Gedanken über unser Alter. Nach Veröffentlichung unseres gemeinsamen Buches haben wir vor, weltweit auf Vortrags- und Autorenreisen zu gehen. Mit im Gepäck natürlich unser Buch, doch, was noch wichtiger ist, unsere Visionen und die Inspiration unserer Zukunft!
Reform braucht Köpfe mit einem klaren Geist, Herzen mit Mut, Leber und Gallenblasen, die entscheiden und angreifen, und Nieren mit dem Willen, ein Projekt zu beenden. Der oft zitierte und berühmte Konfuzius – wobei man nicht so genau weiß, ob es nur eine Person war – hat den Körper mit einem zu regierenden Staat verglichen. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Rentenreformer unseres Landes eher als ausgeweidete Zombies aus. Dank KI habe ich eine tolle Definition von Reform gefunden: „Reform ist die planvolle und tiefgreifende Umgestaltung bestehender Verhältnisse, Systeme oder Strukturen in Politik, Gesellschaft, Religion oder Wirtschaft, um sie an neue Bedürfnisse anzupassen, ohne jedoch eine radikale Zerstörung des Alten anzustreben“.
Ich greife besonders neue Bedürfnisse und Umgestaltung und ohne Zerstörung des Alten heraus.
Vor zwanzig Jahren hatte ich die Idee für die Rentnerreform. Damals lebte ich in Berlin und habe selbst im Bundestag gearbeitet, allerdings nicht als Politikerin, sondern nur als unbedeutende Schreibmaus im Plenum. Allerdings wurde ich mit dieser meiner Idee belächelt, weil das Altenproblem damals noch nicht so akut und heiß wie jetzt war.
Mein Reformprojekt hatte ich damals schon „Blue Zone“ genannt. Auf die Idee 2005 hatte mich Dan Buettner gebracht, der die Geschichte „The Secrets of a Long Life“ vorgestellt hatte.
Die Vision der „Blue Zones“ tauchte während einer Fahrt durch Deutschlands Osten auf, wo ich von den weiten und grünen Landschaften begeistert war. Ich dachte an Helmut Kohl, der 1990 in seiner Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit gesagt hatte: „Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen, durch die Politik der Sozialen Marktwirtschaft werden schon in wenigen Jahren aus Brandenburg, aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Sachsen, aus Sachsen-Anhalt und aus Thüringen blühende Landschaften geworden sein.“ Nicht recht hatte er mit wenigen Jahren und damit, dass durch die Politik der Sozialen Marktwirtschaft blühende Landschaften geworden sind. Dennoch gibt es sie, diese herrlich blühenden Landschaften in den neuen Bundesländern. Der deutsche Osten eignet sich für das Projekt „Blue Zones“ vorzüglich.
„Blue Zone“ sind seniorengerecht konzipierte und gebaute Orte, in denen wir Alten in kleinen Häusern oder Wohnungen leben. Infrastruktur ist wald-, park- und weitläufig angelegt mit landwirtschaftlichen Betrieben zwecks Selbstversorgung, mit Handwerksbetrieben, Dienstleistern, Bildungseinrichtungen, Fitnessstudios, Schwimmbädern, Geschäften, Praxen und Therapeuten, Krankenhaus, Rettungsdienst, Bahnhofe usw. Zur Infrastruktur gehören Wohnungen für die Belegschaft, eventuell mit Familien und Kindern.
Die Alten sind quasi das Wirtschaftsgut, um das sich gekümmert wird von der Belegschaft. Alte, die können und wollen, dürfen mitarbeiten und werden entlohnt.
So viel der groben Beschreibung. „Blue Zone“ hat das Potenzial zu einem enormen Wirtschaftsfaktor, das zudem die Bereiche Soziales und Medizin entlastet. Die Finanzierung von „Blue Zone“ ist möglich ohne geierhafte Investoren. Sie läuft über unsere deutsche, milliardenreiche Rentenversicherung unter anderem über ein Punktesystem. Menschen, die im Alter in einem „Blue Zone“ leben möchten, können schon in jüngeren Jahren damit anfangen, statt monetäre Rente „Blue Zone“-Punkte zu sammeln. Mit diesen kaufen sie sich für später in Häuser und Wohnungen ein. Je länger gearbeitet wird, desto mehr (progressiv) Punkte werden gutgeschrieben. Wer früher in Rente geht und in einer „Blue Zone“ leben möchte, kann sich einkaufen. Zukünftige Rentner und Pensionäre, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, können investieren und Anteile erwerben, allerdings nicht vererbbar.
Nun ist es an der Zeit, dass ich mich wieder an die Hopfenpresse und in die Nachtschicht begebe. Ich werde mit „Blue Zone“ jedenfalls am Ball bleiben…