Warum der Luxusdampfer „Flying Dutchman“ an jenem schwülen Abend, kurz, nachdem ein heftiges Tropengewitter getobt hatte, ausgerechnet während des Captain’s Dinner, als die Gäste gerade dabei waren, auf das mit Wunderkerzen entflammte Eisbuffet loszustürmen, mit Mann, Maus und allen Sonnenstühlen ‚Lebewohl‘ gefunkt hatte, wird wohl für immer unbeantwortet bleiben. Doch nicht sämtliche 521 Passagiere plus 167 Männer und Frauen der Besatzung inklusive Kapitän ersparten den nichtsahnenden Hinterbliebenen die hohen Kosten einer Beerdigung in der Heimat, indem sie ihre Seebestattung selbst in die Hand genommen hatten. Drei Leute, die sich während der Schlacht am Eisbuffet an ein etwas stilleres Örtchen zurückgezogen hatten, überlebten das Unglück in der ansonsten eher friedlichen Südsee: Eine Dame im rotkartierten Abendkleid und zwei Herren im Smoking und Schuhen der Marke ‚Bossi‘ – zufällig trugen beide dieselben. Die Hand des Schicksals hatte diese drei Menschen, gerade als der feuersprühende Auftritt von einem Dutzend Eistorten seinen Höhepunkt erreicht hatte, in die Damen- und Herrentoiletten gerufen. Just in jenen entspannenden Momenten, als die rotkarierte Dame und die beiden Bossi-Schuh-Herren dabei waren, ihre großen Geschäfte zu verrichten oder abzuspülen, winkte ihnen jenes Glück, das dem Volksmunde nach nur Kindern, Narren und Betrunkenen beschieden ist. In der Tat waren die drei Toilettenbesucher betrunken oder zumindest angetrunken. Diverse alkoholische Getränke, die es Dank des äußerst günstigen All-Inklusive-Arrangements kostenlos auf dem Dampfer zu trinken gab, hatten in der weiblichen wie in den beiden männlichen Blasen ein dringend zu erfüllendes Primärbedürfnis geweckt. Das Besondere an den, von den Herrschaften während der Erstürmung des Eisbuffets, mit dem sich die anschließenden Schiffsuntergangs besuchten WC-Räumen war indes ihre zufällig luftdichte Konzeption. Nur deutsche Ingenieure, besonders die schwäbischen Experten auf dem Felde des Hochsee-Luxussanitärwesens, hatten solch ein Wunder vollbringen können. Eine weitere Besonderheit, die den drei Besuchern ihren persönlichen Untergang erspart hatte, war die teure Außenkabinenlage auf dem Oberdeck gewesen, auf welchem die luftdichten Boxen installiert worden waren. Bei dem sich rasant abspielendem Sturm zwischen Eisbuffet beim Capitain’s Dinner und dem folgenden Sturm in die Tiefe des weiten Ozeans wurden genau diese Klohäuschen am oberen Außendeck abgerissen und separat in den Pazifik gespült. In den drei der zehn vorhandenen Kabinen, die durchaus recht gemütlich, um nicht zu sagen feudal mit Sitzgelegenheit von einer italienischen WC-Innenarchitektin ausgestattet worden waren, beschäftigten sich – wie schon erwähnt – gerade eine Dame und zwei Herren mit ihren sehr persönlichen Angelegenheiten. Während ihres Schleuderfluges konnte sich keiner von ihnen das plötzliche Herumwirbeln in der von ihnen temporär besetzten Bedürfnisbox erklären. Auch fanden sie den harten Aufprall auf die Wasseroberfläche alles andere als spaßig, denn mit herabgelassenen Hosen bzw. Höschen konnten sie sich nur schwer aus ihrer doch recht prekären Schieflage befreien. Geistesgegenwärtig tasteten sie nach dem Sperrriegel an der Türe und drehten ihn auf „frei“. Glücklicherweise hatte sich die Kloschüssel als stabilisierender Schwerpunkt bewiesen, so dass die Türen nach oben, etwa Ausstiegsluken von U-Booten ähnlich, aufgeklappt werden konnten. Als erstes hob sich etwas zögernd diejenige von Herrn Fischer, einem biederen Schreinermeister aus Deutschland. Als fleißiger und zuverlässiger Handwerker hatte dieser es in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem kleinen Vermögen gebracht. Seinem unfreiwilligen Singledasein, das er seiner Ehefrau, die mit dem Dorfpfarrer durchgebrannt war, verdankte, hatte er mit einer Pauschalreise auf der untergegangenen „Flying Dutchman“ zu entrinnen versucht. Gerade als die nächste Luke mit einem Ruck nach hinten flog, war Herr Fischer dabei, den Reißverschluss seiner Smokinghose nach oben zu ziehen. Über den Boxenrand des nun geöffneten, zweiten WCs schob sich die derangierte Abendfrisur einer mittelalterlichen Dame aus Schottland, die auf der Passagierliste des Schiffes, das mittlerweile friedlich auf dem Grunde des Ozeans ruhte, mit dem Namen Miss Macfish eingetragen war. Zusammen mit ihrer neunzigjährigen Mutter, die als Marineköchin während des zweiten Weltkriegs für Winston Churchill Porridge gekocht hatte und die sich ein letztes Mal vor ihrem zu erwartenden Ableben die pazifische Meeresbrise um eine zu groß geratene Nase wehen lassen wollte, hatte sich die noch immer jungfräuliche Miss Macfish einen langersehnten Wunsch erfüllt. An den sonnigen Gestaden der Fidschi-Inseln, die die „Flying Dutchman“ vor ihrer letzten Reise noch planmäßig angelaufen war, hatte sie sich am von schrillen Amerikanern heimgesuchten Strand wohlig in einem unanständigen Badeanzug unter einer tiefhängenden Postkartenkokosnusspalme im weißen Sand auf einer schottisch karierten Decke geräkelt. Ihre Mutter hielt währenddessen ein Nachmittagsschläfchen, nachdem sie ihren dritten Scotch ausgenuckelt hatte. Jetzt starrte Miss Macfish fassungslos in die endlose blaue Weite des Pazifiks, auf- und abschauend in ihrem WC-Mini-U-Boot, an dessen aufgeklappter Luke die Wellen sanft dagegen plätscherten. Sie wagte nicht, ihren Blick vom 2500 Meilen entfernten Südamerika abschweifen zu lassen, da sie ein Kentern ihrer wackeligen Rettungsbox befürchtete. Infolgedessen konnte sie auch nicht Herrn Fischer, der gedankenverloren nach dem 1500 Meilen entfernten Australien Ausschau hielt, wahrnehmen.
Mittlerweile war die letzte Toilettenluke geöffnet worden. Ein Herr mit Glatze und sehr schief sitzender Brille, ungefähr in den Fünfzigern, zog es vor, in die nördliche Richtung nach dem etwa 8000 Meilen entfernten Grönland zu starren. Sein Name war Monsieur Bateaux. Mit seiner Ehefrau, Madame Bateaux, wollte er deren letzte Reise verbringen. Dreißig Jahre lang hatte er vergeblich versucht, sie loszuwerden, was jedoch stets an deren klettenhafter Hartnäckigkeit gescheitert war. Doch Monsieur Bateaux hatte neben seiner werten Gattin auch noch seine attraktive Geliebte Olga unter fraglich betrügerischen Umständen an Bord der „Flying Dutchman“ geschmuggelt. Ihr Name war merkwürdigerweise nicht auf der Passagierliste vermerkt gewesen. Zusammen mit Olga hatte er den mörderischen Plan ausgeheckt, seine ihm offiziell anvertraute Madame Bateaux in einem ungesehenen Augenblick des Nachts über Bord zu werfen, um dann mit Olga, der neuen Madame Bateaux, im fernen Südamerika auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Alle nötigen Vorkehrungen und Geldtransfers, die ihm und seiner neuen alten Gattin ein Leben und Saus und Braus ermöglichten, waren vor seiner Abreise getroffen worden. Anscheinend war aber das Schicksal mit dem Plan von Monsieur nicht einverstanden gewesen. Es griff, noch bevor er sich seiner alten Madame auf mörderische Weise entledigen hätte können, mit korrigierender Hand ein, als es ihn betrunken mit einer vollen Blase zur luftdichten Toilette geleitete.
Die drei vom Glück Begünstigten, die in der versunkenen Passagierliste als Herr Fischer, Miss Macfish und Monsieur Bateaux eingetragen sind, schaukeln auf dem endlosen Ozean in nicht nur Luft- sondern auch wasserdichten Toilettenkabinen hoffnungsvoll unbestimmten Zielen entgegen. Allerdings hat keiner von ihnen die jeweils beiden anderen bemerkt. Herrn Fischers kühner Blick ist gen Westen gerichtet. Gedanklich zimmert er bereits an einer Schreinerei im australischen Busch. Miss Macfish hat ihre blinzelnden Augen nach Osten gewandt und träumt davon, mit einer Caipirinha unter einer südamerikanischen Kokosnusspalme zu liegen. Monsieur Bateaux, der in seinem Leben bisher weder einen Eisbären noch ein Iglu gesehen hat, schaukelt im schwarzen Smoking und Schuhen von Bossi vielleicht einer attraktiven Eskimo-Dame entgegen. Ob die drei Herrschaften ihre fernen Ziele erreichen oder ob sie zwischendurch irgendwo mit ihren WC-Boxen aufgefischt worden oder untergegangen sind, bleibt bis auf weiteres ungeklärt.