Um die Mittagszeit gönnte sich Federigo eine kurz Verschnaufpause. Dicke Schweißperlen tropften aus seinem vollen schwarzen Haar, die ihm über das Gesicht und den Hals liefen, während er sich auf den Spaten stützte und einen zufriedenen Blick auf die umgegrabene Erde warf. Er hatte der Frau seines Arbeiters die schwere Gartenarbeit ersparen wollen und war an diesem Tag, statt mit seinem Falken auf die Vogelbeize, in den Garten hinter seinem Haus gegangen, um dort das große, abgeerntete Gemüsebeet auf den Herbstsaat vorzubereiten. Die körperliche Anstrengung tat ihm gut, denn sie gab ihm keine Gelegenheit, über sich und sein vergeudetes Leben nachzudenken. Er genoss es, einmal nicht an seine große Liebe, Donna Giovanni, zu denken. Seit mehreren Monaten schon wohnte diese Dame nicht weit von ihm entfernt auf ihrem Landgut. Nach dem Tod ihres Mannes war sie mit ihrem Sohn den Sommer über aufs Land gezogen. Eigentlich sollte sie schon längst wieder in die Stadt abgereist sein, doch war dies wegen einer schweren Krankheit ihres Kindes unmöglich geworden. Zwar war Federigo seiner großen Liebe selbst nicht begegnet, doch kannte er ihren Sohn. Bis zum Ausbruch von dessen Krankheit hatte dieser ihn des öfteren begleitet, wenn Federigo mit seinem Falken auf die Jagd gegangen war.
Als es am Tor seines bescheidenen Hauses klopfte, blickte Federigo kurz auf. Er fuhr sich mit seinem staubigen Hemdsärmel über die Stirn. Die Frau seines Arbeiters würde dem Besucher, bei dem es sich höchstwahrscheinlich nur um einen Bettler handelte, schon die Türe weisen. Federigo hatte nichts zu verschenken, denn er war selbst arm. Als er sich wieder daran machen wollte, den Spaten aufzunehmen, um den Rest der Arbeit zu verrichten, kam die Magd aus dem Haus gelaufen. „Sie haben Besuch, Donna Giovanni erwartet sie in der Stube.“ Federigo ließ den Spaten fallen. In seinem Gesicht spiegelten sich Schrecken und Freude zugleich. Ohne der Magd eine Antwort zu geben, stürzte er zum Haus. Hektisch versuchte er, den rötlichen Staub, der sich in sein weißes Leinenhemd gefressen hatte, abzuschütteln und dieses in seine verschwitzten Hosenkleider zu stecken. Als er vor der geschlossenen Stubentüre stand, hinter der Donna Giovanna auf ihn wartete, schloss Federigo die Augen und stellte sich vor, wie er ihr im nächsten Moment gegenüberstehen würde. Er strich sich seine Haare nach hinten und straffte seinen Rücken, dann drückte er die Türklinke nach unten und betrat das Zimmer. Noch bevor sich die Besucherin von der schlichten Holzbank erheben konnte, war Federigo bei ihr, um sie ehrerbietig zu begrüßen. Mit zurückhaltender Freundlichkeit erwiderte sie: „Guten Morgen, Federigo. Ich bin hergekommen, um dich für jene Leiden zu entschädigen, die du meinetwegen ausgestanden hast, weil du mich mehr liebtest, als es dir gut war.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich möchte mich bei Dir heute selbst als Gast einladen.“ Federigo war sprachlos. Donna Giovanni stand leibhaftig vor ihm und bot sich an, mit ihm in seinem Hause zu essen. Die Vorratsschränke in der Küche waren aber leer. Federigo schämte sich und erwiderte: „Madonna, ich erinnere mich nicht, dass mir je ein Leid durch Euch widerfahren wäre. Sicherlich freue ich mich über Euren Besuch, doch arm ist der Wirt, zu dem Ihr gekommen seid.“ Donna Giovanni winkte ab, indem sie meinte: „Machen Sie sich bitte keine Umstände Federigo, ich bin nicht hier, weil ich ein opulentes Festmahl von Ihnen erwarte, sondern ich möchte mich einfach gerne mit Ihnen unterhalten. Und da es gerade Mittagszeit ist, würde ich mich zu Ihnen an den Tisch setzen, um Ihnen ein wenig Gesellschaft zu leisten.“ Federigo wollte und konnte seine große Liebe nicht wegschicken, deshalb musste er etwas Zeit gewinnen, um heimlich etwas Essbares aufzutreiben. Er lud Donna Giovanni in seinen Garten ein. „Madonna, während ich hineingehe und das Essen herrichten lasse, leistet Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, die brave Frau meines Arbeiters Gesellschaft.“
Noch nie hatte er seine Armut als so bitter empfunden. An seiner jetzigen Lage war er aber selbst Schuld. Deshalb hatte er sich, ohne zu klagen oder andere um Hilfe zu bitten, in sein Schicksal gefügt. Donna Giovannas unerwarteter Besuch wühlte ihn auf, so dass er sich jetzt verwünschte, sein früheres Vermögen vergeudet zu haben, weil er dieser Frau mit leichtfüßigen Äußerlichkeiten hatte imponieren wollen. Erst seitdem er arm geworden war, hatte er eingesehen, dass die Liebe der begehrtesten und schönsten Frau von Florenz nicht zu kaufen war. Trotz seiner Festgelage, Turniere und der teuren Geschenke hatte sie sich für einen anderen Mann entschieden. Vor zwei Jahren war dieser gestorben und hatte ihr oder vielmehr ihrem Sohn ein riesiges Vermögen hinterlassen.
Nirgendwo in seinem Haus fand Federigo Geld oder etwas Versetzbares. Als er durch ein Fenster in den Garten spähte, um einen Blick auf Donna Giovanna zu werfen, unterhielt diese sich mit der Frau seines Arbeiters. Donna Giovanna war mittlerweile tatsächlich hungrig geworden. Im Stillen hoffte sie darauf, dass der Mittagstisch bald angerichtet war. Als Bittstellerin fühlte sie sich in ihrer Haut äußerst unwohl, denn sie hatte natürlich bemerkt, dass Federigo in Verlegenheit gekommen war, als sie sich bei ihm zum Essen eingeladen hatte. Was würde er erst dazu sagen, wenn sie ihm ihre Bitte vortrug? Sie überlegte, ob es nicht doch besser wäre, sich von Federigo sofort zu verabschieden. Als sie aber an ihren schwerkranken Sohn dachte, brachte sie es nicht übers Herz. Das Leben ihres einzigen Kindes hing davon ab, dass sie Federigo, auf den sie früher wegen seiner Geltungssucht herabgesehen hatte, um seinen größten Schatz bat. Nach dem Essen wollte sie mit Federigo darüber reden. Währenddessen ergriff dieser in der kleinen Stube seinen Falken, den er in der Ecke auf einer Stange erblickt hatte, und drehte diesem kurzerhand den Hals um. Der Küchenmagd befahl er, den Vogel schnellstens zurechtzumachen und am Spieß zu braten. Nachdem er in der Stube den Mittagstisch sorgfältig vorbereitet hatte und ein herrlicher Bratenduft das Haus durchzog, kehrte er zu Donna Giovanna in den Garten zurück, um ihr zu melden, dass das Essen angerichtet sei. Als sie mit dem Essen fertig waren, nahm Donna Giovanna ihren ganzen Mut zusammen, um dem Hausherren zu sagen, warum sie zu ihm gekommen war: „Federigo, ich danke dir für das köstliche Mahl und die reizende Unterhaltung. Doch jetzt muss ich dir gestehen, dass ich aus einem ganz bestimmten Grunde gekommen bin. Wenn du Kinder hättest und wüsstest, wie groß die Kraft der Liebe ist, die man für sie empfindet, könntest du verstehen, was man für sie empfindet. Sie zwingt mich, gegen meinen Wunsch ein Geschenk von dir zu erbitten, von dem ich weiß, was es dir bedeutet. Mit gutem Grund, da dir kein anderer Trost in deiner Armut geblieben. Ich bitte dich um deinen Falken, den sich mein Sohn so sehr wünscht, dass ich um ihn fürchten muss, wenn ich ihm den Falken nicht bringe. Ich bitte dich also bei deiner Großmut, dass du so gütig sein möchtest, mir deinen kostbaren Falken zu schenken. Damit rettest du meinem Sohn das Leben.“