„MeToo“

Laufen ist für mich Training, Entspannung, Therapie und Brainstorming. Neulich, als ich mich den letzten steilen Berg hochquälte, fiel mir die Wortneuschöpfung „Me too“ ein. Übersetzt heißt die Phrase „ich auch“. Sie tauchte 2017 im Zusammenhang mit dem Weinstein-Skandal auf. Zu verdanken ist sie Tarana Burke und Alyssa Milano. Frauen, die sexuell belästigt worden sind, werden ermutigt, auf Übergriffe aufmerksam zu machen.

Während ich besagten Berg erkämpfte, lenkte ich mich mit dem Nachdenken darüber ab, was „Me too“ für mich persönlich bedeutet und ob ich denn selbst schon einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden bin. Bingo! Ich kam auf drei Begebenheiten, die es Wert sind, dass ich sie erzähle. Bei zweien war ich Opfer, allerdings ein schlagkräftiges. Beim dritten Vorfall war ich nur enttäuschte Zuschauerin. Allerdings war die Täterin eine Frau und ein Mann das Opfer. Der chronologischen Reihe nach…

Ende der 80-er Jahre war ich Studentin. Nach dem Sommersemester wollte ich Geld verdienen und bewarb mich als Urlaubsvertretung in einem Redaktionssekretariat bei einem großen Verlag und einem bekannten Wirtschaftsmagazin. Den Job bekam ich und wurde von der Sekretärin, die in ihren wohlverdienten Urlaub gehen wollte, einen Tag lang eingewiesen, wie die Telefonanlage und die Kaffeemaschine zu bedienen sind. Der Redakteur wollte nämlich ständig mit frischem Kaffee versorgt werden. Für eine normal intelligente Studentin bedeutete diese Stellenanforderung keine Überforderung. Im Gegenteil. An meinem ersten Arbeitstag alleine im Büro war ich richtig gut damit, auf die Telefonanlage aufzupassen und den ganzen Tag für Kaffeenachschub zu sorgen. Das Arbeitspensum für diese Aufgaben betrug zirka fünf Prozent. Die restlichen 95 Prozent quälte ich mich mit Langeweile, Spaziergängen und Magazinlesen herum. Sehnsüchtig wartete ich auf das Arbeitsende. Der Redakteur, ein ziemlich arroganter Schnösel, hatte mir jedoch den Befehl gegeben, abzuwarten. Also wartete ich. Es wurde 19 Uhr. Ich war schon elf Stunden im Büro gesessen und wollte endlich nach Hause fahren. „Na ja Mädchen, sei nicht so anspruchsvoll. Das Arbeitsleben ist kein Zuckerschlecken. Du wartest jetzt gefälligst!“ Ich wartete. Dann läutete plötzlich das Telefon auf meinem Schreibtisch. Am Display sah ich, dass der Anruf aus der Chefredaktion kam, also dem obersten Boss des Magazins. Ich hob den Hörer ab. Es meldete sich der Chefredakteur persönlich. Er zitierte mich ohne Begrüßung oder Hallo zu sich nach oben in sein Büro. „Gut,“ dachte ich mir, „dann hat der halt auch noch was zu tun für mich.“ Ich ging die Etagen nach oben. Das Sekretariat war unbesetzt und dunkel. Die Türe zum Chefbüro war angelehnt. Ich klopfte an und schob die Türe ein wenig auf. Der Chefredakteur sah mich und sagte: „Kommen Sie ruhig herein. Wir haben auf Sie gewartet“ Wir? Ich betrat ein feudal eingerichtetes Büro und schaute mich um. Auf einem schwarzen großen Ledersofa räkelten sich zwei Männer in teuren Anzügen. Etwas verlegen stand ich da. Keiner von den alten Jungs sagte was, sondern alle drei glotzten mich längere Zeit nur an. Einer meinte: „Sie haben so schöne braune Arme und Beine. Sind Sie überall so schön braun am Körper?“ – Ich antwortete verduzt: „Ich denke schon. Wieso?“ – Die beiden Männer auf dem Sofa lächelten sich genüsslich an. Jetzt mischte sich der Chefredakteur ein: „Möchten Sie sich etwas hinzuverdienen? – Sie verstehen, was ich meine?“ —- Damit war für mich die Grenzlinie überschritten worden. Heute würde ich „Me too“ sagen oder schreien oder mich mit Hashtag im Internet darüber mockieren. Damals löste ich die sexuelle Belästigung der drei Herren auf meine Art und Weise. Die Wut stieg in mir hoch wie der Überdruck in einem Dampfkessel, ich schleuderte ihnen entgegen: „Was bildet Ihr alten Wichser Euch ein! Sucht Euch eine andere Hure, aber mich könnt Ihr mal kreuzweise!“ Drehte mich auf dem Fuße um, stürmte aus dem Zimmer und schlug die Türe hinter mir zu, dass die ganze Etage wackelte. Ich packte meine Sachen, fuhr nach Hause. Am nächsten Tag rief ich in der Personalabteilung des Verlags an und teilte dort mit, dass ich in diesen Scheißladen keinen Fuß mehr setzen würde.

Der zweite Übergriff passierte während meiner Zeit als Moderatorin bei einem kleinen Fernsehsender. Man muss wissen, dass Werbeeinnahmen in der Medienbranche über die Existenz eines Verlages oder eines Senders entscheiden. Deshalb werden die Unternehmen gepeppelt und hofiert, wird geschleimt. Die Marketingleute eines Senders sind eigentlich noch wichtiger als Redakteure oder Moderatoren, denn sie bringen das Geld, von denen die Redaktion bezahlt wird. Die Werbenden sind sich ihrer Macht bewusst, die sie haben, und können die redaktionellen Inhalte aus dem Hintergrund heraus entsprechend beeinflussen. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Der kleine Sender, bei dem ich jobbte, war auf regionale Geschäfte angewiesen. Der Inhaber eines solchen hatte sich in den Kopf gesetzt, mich zu einem Abendessen zu treffen. Mein Redaktionsleiter bat mich deshalb, dass ich die Einladung annehmen sollte, da es um die guten Beziehungen und Werbeschaltungen für den Sender ginge. Ich willigte ein. Nach meiner Abendmoderation wartete besagter Herr im Foyer des Senders auf mich. In seinem Porsche ging es durch die Stadt zu einem Restaurant. Das Essen war gut, und die Unterhaltung war oberflächlich und nett. Als mich der Inhaber fragte, ob er mich noch zu einem Rundgang durch seine Firma einladen dürfe, willigte ich ein. Nach Besichtigung der Räume führte er mich in sein Büro, wo interessanterweise wieder eine schwarze Ledercouch stand. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, dass ich damals nicht sofort aus dem Büro geflüchtet bin. Doch ich war auf die Rückfahrt zum Sender, wo ich mein Auto stehen hatte, mit dem Inhaber angewiesen – meinte ich. Der Inhaber nötigte mich auf die Ledercouch, ließ sich neben mich nieder und ging in den Angriff über, indem er mir seine Zunge in den Hals steckte und mir zwischen die Beine fasste. Es reichte mir! Ich befreite mich aus seinem Griff, sprang auf und haute ihm eine runter, dass es nur so klatschte. Mein Glück, denn das hatte der Wüstling nicht erwartet. Ich packte meine Tasche und rannte aus dem Geschäft und die Straße entlang, weil ich Angst vor seiner Verfolgung hatte. Zufälligerweise kam ein Taxi vorbei, das mich zum Sender brachte. Am nächsten Tag erzählte ich meinem Redaktionsleiter von dem nächtlichen Kampf mit dem Geschäftsmann. Pech für den Sender; denn die beabsichtigten guten Beziehungen waren durch meine Ohrfeige ein für allemal beendet worden.

Der dritte Übergriff ist recht subtil und auf den ersten Blick gar keiner gewesen. Doch packt mich, Jahre später, noch immer die Wut, wenn ich daran denke, wie schamlos sich jene Frau benommen hat, einen Auftrag für eine Dokumentation zu ergattern, für den sie auch noch mit einem Fernsehpreis ausgezeichnet wurde.

Als sog. Producerin war ich bei einer Filmproduktion dafür zuständig, gute Stories zu finden. Eines Tages flatterte mir ein Manuskript mit einem Projekt auf den Schreibtisch, von dem ich sofort wusste, dass es wert war, dieses einem öffentlich-rechtlichen Sender und einer Redaktion anzubieten. Hier kann ich weder die Geschichte noch den Titel des Films nennen, weil ansonsten auch Namen recherchiert und öffentlich werden könnten. Im Übrigen ist das sowieso nicht relevant.

Ich lud die Verfasserin des Manuskripts ein. Die direkte Art und professionelle Vorgehensweise der Autorin gefiel mir auf Anhieb, und wir beide waren uns schnell einig, dass ich ihre Geschichte schnellstens an den zuständigen Redakteur weiterreichen und als Producerin unterstützen würde. Wir wurden nach Mainz eingeladen und wollten uns im Restaurant des Senders mit dem Redakteur treffen. Die Frau war attraktiv und selbstbewusst. Ich muss jetzt erwähnen, weil das für den Fall hier wichtig ist, dass sie, eine durchsichtige Bluse trug; darunter hatte sie einen BH an – bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem sie während des Wartens auf den Redakteur auf der Toilette verschwand. Während ihrer Abwesenheit kam der Redakteur, den ich schon mal alleine begrüßte. Wir setzten uns und warteten auf die Autorin. Als sie kam und sie sich unserem Tisch näherte, fiel nicht nur mir, sondern auch dem Redakteur sofort auf, dass sie unter ihrer durchsichtigen Bluse keinen BH trug. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Sie hatte sich auf der Toilette ihren BH ausgezogen, um den Redakteur mit ihrer Nippel-Show von ihrem Filmprojekt zu überzeugen. Ab diesem Zeitpunkt war ich von dieser Frau enttäuscht. Dem Redakteur gefielen die Nippel. Doch ich weiß, sie hätte den Auftrag für ihren Film auch bekommen, wenn sie sich nicht prostituiert hätte, weil sie eine wirklich gute Geschichte angeboten und dann schließlich daraus gemacht hatte.