Koffer im schwarzen Loch, reisende Mumien und nasenlose Sphinx…
Das letzte Mal war ich in den 90er Jahren in Ägypten. Damals erlebte ich eine Nilkreuzfahrt, die mir in schönster Erinnerung geblieben ist, ein bisschen wie 1001 Nacht. Während der vergangenen 30 Jahre habe ich mich, hat sich die ganze Welt, gezwungenermaßen verändert. Das wissen Sie, liebe Leserschaft, selbst am besten. In diesem Herbst, genauer gesagt, im November, bin ich erneut Nil-Kreuzfahrerin gewesen. Vorweg füge ich an, dass ich von dieser nicht sonderlich viel erwartet hatte; quasi prophylaktischer Selbstschutz vor Enttäuschung. Ich hatte die Reise bei einem bekannten Massereisen-Anbieter gebucht, dessen Reiseangebote in bekannten Pseudobillig-Supermärkten ausliegen. Beim Einkauf in eben einem solchen Pseudobillig-discounter warf ich nach dem Bezahlen an der Kasse so einen herumliegenden Prospekt in den Einkaufswagen. Normalerweise beachte ich solche Werbeblätter nicht, doch war meine Aufmerksamkeit wegen der Pyramiden auf der Titelseite geweckt worden. Daheim beim Verstauen der Supermarktbeute in Vorratsraum und Kühlschrank, fiel mein Blick immer wieder auf die Pyramiden. Irgendwann blätterte ich den Prospekt dann doch durch und blieb bei der angebotenen Nilkreuzfahrt hängen. Der niedrige Preis für die Reise gab ziemlich rasch den Ausschlag dafür, dass ich innerhalb weniger Minuten entschied, dieses Jahr im November auf Nilkreuzfahrt zu gehen. Ich buchte für mich und meinen Partner, den ich über sein bevorstehendes Reiseabenteuer erst später informierte, nachdem ich die Buchung bereits abgeschlossen hatte. Er war nicht sonderlich überrascht von meiner Spontanität, sondern er freute sich sogar, was mich wieder freute. Terminlich war er noch nicht festgelegt, war beruflich also flexibel, da die Reise erst ein halbes Jahr später starten würde.
Der niedrige Preis für eine Nilkreuzfahrt, die Flug, Reiseleitung, Vollverpflegung in einem Viersternehotel in Kairo, im „Swiss Inn“, sowie auf dem Nilschiff, das auch noch sämtliche Ausflüge beinhaltete, konnte in meinen Augen nur Substandard bedeuten. Am besten keine Erwartungen haben und von Befürchtungen nichts erwähnen, also den Kopf insgesamt in den Sand stecken, bis es so weit war. Stattdessen schwärmte ich ihm vor vom Nil, von den Pyramiden, den Tempeln und dem Hotel „Old Cataract“ in Assuan.
Am blödesten war der Reisestart am Münchner Flughafen. Dort musste am Automaten eingecheckt werden. Wie soll das funktionieren, wenn der Automat nicht funktioniert, wenn das ganze vermaledeite Checkin-System nicht funktioniert? Da werden Hilfskräfte der Airline hingestellt, die sich mit den verzweifelten Fluggästen herumärgern müssen, um diese dann schließlich doch, da als Airlinemitarbeiterin unfähig oder sonstwas, mit einer abgegriffenen Marke zur Wächterin des Checkins, wo man als Fluggast vor einer leibhaftigen Mitarbeiterin steht und von dieser eingecheckt wird. Doch war dieses menschliche Wesen leider dann doch keine Garantie dafür, dass Koffer dort ankamen, wo sie ankommen hätten sollen, nämlich in Kairo und nicht in Luxor. Wobei ich der Gerechtigkeit halber erwähnen muss, dass mein Koffer in Kairo auftauchte, jedoch nicht der von meinem Partner. Dieser war auf der Passage von Europa nach Afrika in einem schwarzen Loch verschwunden. Da konnten wir am Flughafen in Kairo bis zum Sanktnimmerleinstag am Gepäckband auf ihn warten, ihn suchen oder Rabatz machen. Es half nix. Mein Partner musste die nächsten Tage mit zwei Unterhosen, einem paar Socken und einem T-Shirt auskommen. Und mit ihm noch drei andere Fluggäste, die später im Bus vom Flughafen zum „Swiss-Inn“-Hotel neben uns saßen und traurig guckten. Ein altes Ehepaar – sie war 87 Jahre und er war 86 Jahre alt, und beide feierten auf der Reise ihre sog. Eiserne Hochzeit – und eine rüstige alte Single-Dame, die mir bei ihrer Suche nach einem passenden Partner beinahe meinen eigenen streitig gemacht hätte, die ihre sämtlichen Medikamente für Rheuma, Herz und Blutdruck in ihren verlorengegangenen Koffern hatten und die nächsten Tage auf deutsches Gesundheitsmanagement in Tablettenform verzichten mussten. Eine riskante Sache, dachte ich. Vorsorglich hatte ich mich in einer Apotheke für alle Ernstfälle auf der Reise ausgestattet und knapp 200 Euro für eine Tüte Prophylaxe-Medis ausgegeben, doch an Cholesterinsenker, Blutdrucktabletten, Cortison und Blutverdünner hatte ich nicht gedacht, da ich diese Gott sei Dank (noch) nicht brauche. Im Übrigen hätte ich diese rezeptpflichtigen Medikamente eh nicht bekommen. Ich kehre zu den verlorenen Koffern zurück und nehme den Ausgang der Geschichte voraus: Die Koffer wurden nach langem und zähem Kampf mit sämtlichen Angestellten des Flughafens und der Fluglinie Egyptair vom besagten schwarzen Loch ausgespuckt. Nach zwei Stunden leidenschaftlichen Verhandelns meines Partners zogen sie auf dem langen Kofferförderband plötzlich einsam und ziemlich demoliert und ramponiert ihren Kreis. Bis heute ist mir rätselhaft, wie dieses universale „Kofferwunder“ zustande gekommen war.
Die Reisegruppe aus Deutschland dürfte ein durchschnittliches Alter von knapp 80 Jahren gehabt haben. Etwa 10 Personen – darunter mein Partner und ich – dürften den Durchschnitt ziemlich stark gesenkt haben, da diese „nur“ junge 60 Jahre gezählt haben. Ich war und bin beeindruckt, dass sich diese alten und teilweise auch gehbehinderten Menschen die Reise nach Ägypten zutrauten. Was wäre, wenn einer davon plötzlich einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder sonstigen Notfall hatte, ein Notarzt und Rettung und ein Krankenhaus gebraucht würde. Da war weit und breit niemand und nichts von all dem in Sicht. Rettungshubschrauber gibt es in Ägypten nicht, wohl auch keine Rettungsfahrzeuge. Krankenhäuser gibt es, an solchen sind wir in Kairo mit dem Bus vorbeigefahren. Als ich diese sah, mit den langen Schlangen armer und ärmster Menschen, die davor auf dem Boden saßen oder lagen, betete ich, dass ich diese medizinische Einrichtung auf der Reise nicht von innen niemals kennenlernen müsste. Ich fragte mich insgeheim immer wieder, wenn ich meine alten Kreuzfahrgefährten heimlich beobachtete, ob ich vielleicht doch zu pessimistisch und negativ war. Den Alten machte es anscheinend nichts aus, in der Hitze hinter dem Reiseführer herzuhinken und immer wieder stehenbleiben zu müssen, um nach Luft zu japsen. Es war für sie scheinbar normal; denn etliche unter ihnen machten im Jahr mehrere Reisen in Drittländer mit entsprechend drittklassiger medizinischer Versorgung. Nachdem wir in Kairo das Koptische Viertel besichtigt hatten, musste wir in der Dunkelheit auf unseren Bus warten. Eine etwa 85jährige Reisegefährtin stolperte plötzlich von einem hohen Absatz des Gehweges auf die Straße und knallte dort rückwärts mit dem Kopf auf. Sofort halfen ihr umstehende Reisegefährten auf, doch ich bemerkte, wie sie benommen dastand und dann in den mittlerweile wartenden Bus torkelte. Als ich sie am nächsten Tag beim Frühstück sah, erschrak ich beim Anblick ihres Gesichts. Es war schwarz und blau um Augen, Nase und Wangen. Der Sturz hatte starke Einblutungen ausgelöst. Ich erkundigte mich nach dem Befinden der alten Dame und bot ihr meine Reiseapotheke an, in der ich auch Medikamente für derartige Verletzungen hatte. Dankbar nahm sie an, denn weder sie noch ihre Tochter hatten medizinisch für solche Vor- bzw. Unfälle vorgesorgt.
Ziel in bzw. außerhalb Kairos waren natürlich die drei großen Pyramiden von Gizeh und die Sphinx, der von den Franzosen die Nase abgeschossen worden war…